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Mit der Gitarre durch Theresienstadt:
Die Dichterin und Sängerin Ilse Weber (1903-1944)

Erstaufführung:

Konzert von musica reanimata am 22.5.2008 im Musikclub des Konzerthauses Berlin am Gendarmenmarkt
Gesprächsgast: Rahel Rosa Neubauer

Interpreten:
Maria Thomaschke und Andreas Jocksch - Gesang, Texte
Kathrin Redlich - Gitarre
Timofej Sattarov - Bajan
Volker Suhre - Kontrabass
Winfried Radeke - Cembalo, Arrangements, Moderation

Programm:

Gedicht: Musica Prohibita
mp3Ich wandre durch Theresienstadt
Dobry den (Gebet)
Schlaf, mein Püppchen
Gedicht: Morgen gehn 5000 fort
mp3Ade, Kamerad
Märchen: "Riwke bäckt Barches"
(aus "Mendel Rosenbusch - Geschichten für jüdische Kinder")
Gedicht: Brief an mein Kind (Auszüge)
mp3Und der Regen rinnt...
Gedicht: Blaue Stunde im Kinderkrankenzimmer
Ukolébavka
Gedicht: Das ist dir doch schon einmal geschehen
Kerkerzelle
Gedicht: Der Abend
mp3Abendlied
mp3Kleines Wiegenlied (Die Nacht schleicht durchs Ghetto)
Gedicht: Hamburger Kaserne
mp3In der Hamburger Kaserne
Gedicht: Der Punkteschein
Gedicht: Theresienstadt, Theresienstadt
Mutter (Melodie: Berta Kraus-Rosen)
Gedicht: Alterstransport
Emigrantenlied (Denn alles wird gut)
Gedicht: Im Morgengrauen
Wiegala
Gedicht: Bekenntnis

Auftritte:

  • Berlin, Musikclub im Konzerthaus am Gendarmenmarkt, Erstaufführung als Gesprächskonzert 22.5.2008
  • Berlin, Denkmal für die ermordeten Juden Europas, 10.10.2010
  • Berlin, Neuköllner Oper, 31.10. - 10.11.2012

Video - Kulturjournal



Zum Erscheinen des Buches "Wann wohl das Leid ein Ende hat" von Ulrike Migdal sendete das kulturjournal einen Beitrag über Ilse und Hanus Weber.


Einführung

Ilse Weber (geb. Herlinger) wurde am 11.1.1903 in Witkowitz bei Mährisch-Ostrau geboren. Inmitten eines Vielvölkergemischs aus Tschechen, Polen, Ungarn und Juden erlebte sie dort das Ende des österreichisch-ungarischen Kaiserreiches, die schweren Zeiten wirtschaftlicher Not und die täglichen ethnischen Spannungen ihrer Umwelt hautnah mit. Der Vater betrieb eine Gastwirtschaft, in der die junge Ilse zu bedienen hatte. Sie zog sich aber zunehmend zurück und schrieb bereits mit 14 Jahren eigene Gedichte, Lieder und Geschichten und übersetzte tschechische Gedichte ins Deutsche und deutsche ins Tschechische. Zu ihrer eigenen Überraschung wurden viele dieser Arbeiten in Zeitungen und Rundfunksendungen veröffentlicht. Ende der Zwanziger Jahre erschienen drei ihrer Märchensammlungen: "Jüdische Kindermärchen", "Mendel Rosenbusch" und "Das Trittrollerwettrennen" in heimischen Buchverlagen.

1929 heiratete sie Willy Weber, 1931 wurde ihr Sohn Hanuš Weber, 1934 ihr Sohn Tommy geboren. Nach 1936 verhinderte ein zunehmender Antisemitismus weitere Arbeiten am Rundfunk. Für die jüdische Bevölkerung wurde die Situation immer bedrohlicher. Ilse Weber, die sich stets als zwischen den Völkern und Kulturen vermittelnd verstand, war nun für die Tschechen eine Deutsche, für die Deutschen eine Jüdin. Als 1938 das Sudetenland vom nationalsozialistischen Deutschland annektiert worden war, übersiedelten die Webers nach Prag. Den achtjährigen Sohn Hanuš brachten sie mit Hilfe von Freunden über England nach Schweden. Nach der Besetzung von Prag 1939 war es für eine Emigration der restlichen Familie zu spät; 1942 wurden sie nach Theresienstadt deportiert.

Ilse Weber hatte sich sogleich als Krankenschwester im Kinderkrankenhaus gemeldet. Dort versah sie eine aufopferungsvolle Tätigkeit für die Schwächsten der Schwachen. In ihren schlaflosen Nächten versuchte sie durch Dichten und Komponieren der erdrückenden Wirklichkeit zu entfliehen. Wenn sie dann am Tage den kranken Kindern und Alten ihre Gedichte und Lieder vortrug, die vorwiegend vom Leben im Ghetto handelten, half sie die Angst vor dem Schrecklichen zu mildern. Am 6.10.1944 wurde Ilse Weber mit ihrem Sohn Tommy und "ihren" Kindern des Krankenhauses in den Gaskammern von Auschwitz ermordet.

Die Dichterin hat selbst nie an eine Veröffentlichung dieser Gedichte und Lieder gedacht, doch müssen sie im Lager sehr verbreitet gewesen sein. Nach Kriegsende konnte Willy Weber, der schwer krank verschiedene KZ überlebt hatte, einst aus dem Ghetto geschmuggelte oder von ehemaligen Häftlingen nach dem Gedächtnis aufgezeichnete Gedichte sammeln, immerhin etwa 55 an der Zahl. Sie erschienen für eine größere Öffentlichkeit erst 1991.

Die Überlieferung der Lieder Ilse Webers ist um einiges unsicherer. Von den zwölf erhaltenen besitzen wir als Autograph lediglich drei: "Schlaf, mein Püppchen", "Denn alles wird gut" (Emigrantenlied) und "Wiegala", einstimmig und unbegleitet aufgeschrieben. Nach Tonart und Duktus der Lieder dürften sie mit einer Gitarre begleitet worden sein (Ilse Weber hatte nach anfänglichen Schwierigkeiten tatsächlich eine Gitarre zur Verfügung). Die drei genannten Lieder-Autographe waren nach angefügten Bemerkungen wohl im Besitz von Berta Kraus-Rosen. Die bekannte Autorin hatte 1964 in Rechovot / Israel die erste kalligraphierte Ausgabe der Gedichte Ilse Webers besorgt und für das Gedicht "Mutter" eine eigene Melodie geschrieben.

Wer die sechs erhaltenen Klavierbegleitungen aufgeschrieben hat, ist nicht mehr zu ermitteln, ebenso ob sie noch in oder erst nach Theresienstadt entstanden. Man muss wegen ihrer sehr unterschiedlichen Fertigkeiten im Tonsatz wohl von mehreren Autoren ausgehen. So ist der Satz von "Die Nacht schleicht durchs Ghetto" (Kleines Wiegenlied) einem Brahms´schen Klavier-Vollklang geschuldet, das "Emigrantenlied" zeigt hingegen eher kompositorische Unbedarftheit. Den Melodien und Texten Ilse Webers kann jedoch weder das eine noch das andere etwas anhaben. Sie sind im besten Sinne "Volkslieder" und somit der Freiheit des ausfürenden Interpreten anvertraut.

In unserem Programm erklingen alle erhaltenen zwölf Lieder Ilse Webers, einige ihrer Gedichte und ein frühes Märchen und die Vertonung der "Mutter" von Berta Kraus-Rosen. Unter dem Titel "Ich wandre durch Theresienstadt" sind acht Lieder beim Verlag "Boosey & Hawkes / Bote & Bock" im Druck erschienen, sowohl in ihrer überlieferten Form als auch mit meinen eigenen Sätzen.

Winfried Radeke

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