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...und die Musik spielt dazu! -
Kabarett in Theresienstadt

Einführung:

In diesem Konzert widmen wir uns dem bislang noch nicht ausreichend erforschten und dokumentierten Thema "Kabarett in Theresienstadt". Im so genannten "Vorzugslager" gab es nicht weniger als fünf Kabarett-Formationen, die mindestens die gleiche Bedeutung hatten, wie die anderen, ambitionierten künstlerischen Betätigungen der Ghetto-Bewohner (Chorkonzerte, Theater, Kammermusik) - nämlich so etwas wie menschliche Identität zu bewahren und den Gefangenen für einige Stunden "Normalität" zu vermitteln - eine Hilfe zum Überleben!
Wir stellen u.a. vor Texte von Leo Strauss, Manfred Greiffenhagen, Frieda Rosenthal, sowie Vertonungen von Martin Roman, Otto Skutecki, Adolf Strauss und Parodien auf Melodien von E. Kálmán oder F. Raymond.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf den Liedern und Texten von Ilse Weber, die als damals sehr bekannte Autorin und Komponistin mit ihrem Sohn in Auschwitz ermordet wurde; ihr Schicksal und ihr Werk sind erst jetzt, in den letzten Jahren ins öffentliche Bewusstsein getreten.

Erstaufführung:

Konzert von musica reanimata am 16.3.2006 im Musikclub des Konzerthauses Berlin am Gendarmenmarkt
Eva Maria Straussová-Erard im Gespräch mit Winfried Radeke.

Interpreten:
Maria Thomaschke und Andreas Jocksch - Gesang, Texte
Uri Rom - Klavier

Programm:

Gedicht: Einladung Text: Leo Strauss
Ich wand're durch Theresienstadt Text und Melodie: Ilse Weber,
Satz: Winfried Radeke
mp3Und die Musik spielt dazu! Text: Walter Lindenbaum,
Musik: Fred Raymond
mp3Als ob Text: Leo Strauss,
Musik: Alexander Steinbrecher
mp3Terezin-Lied Text: Unbekannt,
Musik: Emmerich Kálmán
Gedicht: Dank dem lieben Cabaret Text: Frieda Rosenthal
Auf Wiedersehn, Herr Fröhlich... Text: Bobby John,
Musik: Karl Inwald, Bruno Uher
Die OchsenText: Manfred Greiffenhagen,
Musik: Martin Roman
Gedicht: Gib mir bald ein kleines Lebenszeichen Text: Leo Strauss
mp3Ich weiß bestimmt, ich werd dich wiederseh'n Text: Ludwig Hift,
Musik: Adolf Strauss
Drunt' im Prater Text: Leo Strauss,
Melodie: Otto Skutecky
Und der Regen rinnt... Text und Melodie: Ilse Weber,
Satz: Winfried Radeke
Gedicht: Theresienstädter Kinderreim Text: Ilse Weber
WiegalaText und Melodie: Ilse Weber,
Satz: Winfried Radeke
Gedicht: Ohne Butter, ohne Eier, ohne Fett Text: Walter Steiner
mp3Ich muß sitzen Text: Manfred Greiffenhagen,
Musik: Martin Roman
mp3Karussell Text: Manfred Greiffenhagen,
Musik: Martin Roman

Auftritte:

  • Berlin, Musikclub im Konzerthaus am Gendarmenmarkt, Erstaufführung als Gesprächskonzert 16.3.2006
  • Berlin, Nikodemuskirche, 12.11.2006
  • Hamburg, Rudolf-Steiner-Haus, 31.1.2007
  • Berlin, Neuköllner Oper, 2.+10.2.2007
  • Berlin, Philharmonie, 2.-4.11.2007 auf Einladung der Berliner Philharmoniker
  • Saarbrücken, Das kleine Theater, 6.12.2007
  • Berlin, Alte Akademie der Künste, Ausstellungseröffnung von Room28 im dt. Bundestag, 22.1.2008
  • Berlin, Saalbau Neukölln, 7.9.2008 (in Zusammenarbeit mit Room28 e.V.)
  • Terezin, Magdeburger Kaserne, 23.9.2008 (Room 28 e.V.)
  • Berlin, Lutherkirche Spandau, 9.11.2008
  • Oranienburg, Oberstufenzentrum, 11.11.2008
  • Helmbrechts, Stoffwerk, 15.11.2008
  • Rendsburg, Landesbühne Schleswig-Holstein, Gedenkveranstaltung des schleswig-holst. Parlaments, 27.1.2009
  • Berlin, Rathaus Schöneberg "Goldener Saal", 22.4.2009 (Room 28 e.V.)
  • Berlin, Tschechische Botschaft, 23.4.2009 (Room 28 e.V.)
  • Vöhl, Synagoge, 7.11.2009
  • Kassel, Lutherkirche, 8.11.2009
  • Tel-Aviv, Enav Center, 27.1.2010 (Room 28 e.V.)
  • Jerusalem, Moschawa Germanit, 28.1.2010 (Room 28 e.V.)
  • Tel-Aviv, Felicja Blumenthal Music Center, 29.1.2010 (Room 28 e.V.)
  • Oederan, im ehemaligen KZ-Außenlager, jetzt Nähfadenfabrik ALTERFIL, 25.9.2010
  • Rügen, Dokumentationszentrum Prora, 2.10.2010
  • ...

"Freizeitgestaltung" in Theresienstadt

1987 erlebte der Verfasser dieser Zeilen im Berliner Hebbel-Theater (jetzt: "HAU 1") Taboris Inszenierung des "Kaiser von Atlantis" von Viktor Ullmann. Es traf ihn wie ein Keulenschlag.
Was hatte er von der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts gelernt? Warum kannte er diesen Komponisten nicht, warum stand der Name nicht in den einschlägigen Musiklexika? War diese Bildungslücke eigenes Versäumnis oder ein kollektives der sich Musikwelt nennenden Gesellschaft?
Man war informiert über Auschwitz, Theresienstadt und alle andern Vernichtungslager, man wusste um die Millionen ermordeter Juden. Aber, dass Tausende unter ihnen sich in der kurzen Zeit, die ihnen bis zur ihrer Ermordung blieb, künstlerisch betätigten, sei es, um ihrem Schmerz, sei es ihrer Hoffnung auf Menschenwürde ein individuelles Zeugnis zu verleihen, ein Gedicht, eine Zeichnung, ein Lied, ein Streichquartett..., nein davon erfuhr man nur, wenn man sich selbst darum kümmerte. Und diese Stimme der geschundenen und entwürdigten Kreatur war im "Kaiser von Atlantis" unüberhörbar. Unüberhörbar aber war auch ihr allerhöchster künstlerischer Rang, in Text (Peter Kien) wie in Musik. Es stand fest, dass Ullmanns Spiel um Tod und Leben (Harlekin), sein Welttheater um zynischen Machtmissbrauch (Kaiser Overall) gleich nach Eröffnung des nun eigenen Domizils der "Neuköllner Oper" aufgeführt werden sollte. Nun hieß es, sich "zu kümmern", denn man bewegte sich auf noch unbekanntem und anscheinend vergessenem Terrain.

Studio für neue Musik

Der Weg dieser Produktion eröffnete ein bisher nicht gekanntes "Netzwerk von Gleichgesinnten". Dramaturgen nannten Namen von Leuten, die "mehr wissen". Schließlich landete man in Dornach, wo das Autograph des "Kaiser" liegt. Dort war man sehr hilfsbereit und schickte sofort eine Kopie der autographen Partitur. Und siehe da, das schon vorher besorgte Leihmaterial wies eine Fülle von Ungereimtheiten auf. Auf die Frage nach Dornach, ob man anhand der originalen Partitur eine Neufassung des Werkes erarbeiten und aufführen dürfe, wurde prompt mit "Ja" geantwortet.
Und wohin gehen die Tantiemen? Doch nicht zu dem Bearbeiter des Leihmateriales, der bis dato nicht nur 100% der Tantiemen einstrich, sondern auch noch den Wunsch äußerte, das Werk in Neukölln zu dirigieren! Da hieß es dann, die Kinder von Ullmann seien entmündigt und lebten in einem Heim in England. Ein rechtsfreier Raum, ein weiteres Unrecht.
Wenn man als Theatermacher die unglaublichen Prozeduren bei Änderungswünschen, bei Bearbeitungen usw. mit Verlagen und "Rechtsnachfolgern" kennt, war man schon erstaunt, dass es offenbar bei dem Komponisten aus Theresienstadt diesbezüglich ein Vakuum gab.
Und jetzt kam die große Wut. Da gibt es einen begnadeten Komponisten, der von den Nazis umgebracht wurde, sein Werk aber durch glückliche Umstände gerettet wurde, und die Nachwelt hat nichts Besseres zu tun, als auch noch sein Vermächtnis zu boykottieren? Und schließlich: Warum erfährt man dies erst nach über vierzig Jahren? Es gab nur einen Schluss: Eine Ullmann-Gesellschaft musste her.
Es kam keine Ullmann-Gesellschaft, aber es gab 1991 die Gründung des Vereins musica reanimata , der sich der Wiederbelebung NS-verfolgter Komponisten und ihrer Werke annahm.
Viel ist geschehen inzwischen. Komponisten aus Theresienstadt wie Viktor Ullmann, Hans Krasa, Gideon Klein und Pavel Haas sind da, wo sie hingehören: im "normalen" Konzertbetrieb. Ihre Werke sind zum größten Teil gedruckt und verlegt, Publikationen, Biographien und Werkverzeichnisse sind der Öffentlichkeit zugänglich.

Inzwischen wissen wir also mehr über das schier unglaubliche Kulturleben in Theresienstadt. Zum größten Teil kamen die Häftlinge aus dem "Protektorat Böhmen-Mähren" dorthin, deutsch oder tschechisch sprechende Juden und unter ihnen war quasi die ganze geistige wie künstlerische Elite versammelt: Musiker, Dirigenten, Sänger, Schauspieler, Dichter, Universitätsprofessoren. Man hatte ihnen nicht nur jeglichen Besitz abgenommen sondern auch ihre Profession, ihren Lebensinhalt, ihre Identität. Eingepfercht unter schlimmsten, menschenunwürdigen Bedingungen hatten sie schwerste Zwangsarbeit zu verrichten. Die Nahrung ("Menage") bestand aus übel riechenden Wassersuppen aus Kartoffelschalen. Brot, Fett, Zucker waren karger rationiert, als in Gefängnissen sonst üblich. Ungeziefer, Krankheiten und unvorstellbare hygienische Zustände brachten die Menschen an den Punkt, ihre Menschlichkeit und jegliche Form der Zivilisation zu verlieren. Viele starben oder siechten dahin. Andere, die ihren Verfall und das grausige Geschehen um sie herum um den Verstand brachte, wurden in die Irrenabteilung des Lagers gebracht. Als die psychischen Zustände im Ghetto sich zu einem allgemeinen Chaos auszuweiten drohten, brachte der Rabbiner Erich Weiner seine Mitgefangenen darauf, wieder in ihren früheren Berufen tätig zu sein, um einer drohenden Verelendung zu entgehen. Man nannte die Initiative "Freizeitgestaltung".

Freizeitgestaltung Nun begann in den meisten Lagern eine große Betriebsamkeit: Vorträge wurden gehalten, Stimmbildung und Gesangsunterricht gegeben, Theater- und Chorproben angesetzt, Schach- und Sportgruppen bildeten sich. In sogenannten "bunten Abenden" gab es Rezitationen und Lieder.
Später gründeten sich Streichquartette und Kammermusikvereinigungen. Man führte Opern auf (mit Klavierbegleitung und zunächst noch konzertant), und: Es bildeten sich mehrere Kabarett-Formationen. Zuerst geschah alles geheim, die Veranstaltungen nannten sich "Kameradschaftsabende". Bei Konzerten war jeder Applaus verboten, am Eingang hielten Wachen Ausschau, um gegebenenfalls die Veranstaltungen sofort abzubrechen. Denn zunächst waren Musikinstrumente im Ghetto strengstens verboten. Doch aufhalten ließ sich die allgemeine künstlerische Betriebsamkeit dadurch nicht - es war, als hätte die Kunst den Gefangenen ihre Identität zurückgegeben, auch wenn diese "Normalität" Fassade war, eine brüchige zudem; denn immer musste man mit Transporten rechnen, die Todeslisten waren schon geschrieben.
Später wurden die Kunstausübungen geduldet und dann sogar gefördert. Seit der Wannseekonferenz zur "Endlösung" mussten die braunen Machthaber aus dem Ausland Interventionen befürchten. So konnte man die mannigfaltigen künstlerischen Betätigungen der Häftlinge als Propaganda-Trick umfunktionieren. Theresienstadt wurde zum "Vorzugslager" deklariert, und alle Welt sollte sehen, wie gut es der jüdischen Prominenz hier ging. Gerüchte um die immer perfekter funktionierende Vernichtungsindustrie sollten im Keim erstickt werden. Mit immer neuen Transporten vergrößerte sich auch der Bestand der Bibliothek von Büchern und Noten. Der Bestand der "Ghettobücherei" belief sich am Ende auf beinahe 200 000 Bände. Dies ist kein Wunder, denn der größte Teil stammte aus geraubtem Besitz jüdischer Institutionen und Privatleute. Ältere Neuankömmlinge, denen mit dem makaber-euphemistischen Namen "Theresienbad" die Existenz einer Altersresidenz vorgegaukelt wurde, brachten häufig ihre Bibliotheken mit, die ihnen sofort abgenommen wurden. Schriften über Philosophie und Geschichte waren vertreten, eine große Menge Hebraica, aber auch landwirtschaftliche, medizinische und sonstige Fachliteratur, Kochbücher und besonders stark vertreten lateinische und altgriechische Schriftsteller.

Verdi: Requiem Hatten die Musiker im Ghetto sich anfangs noch mühsam Bruchstücke ihrer Standardwerke zusammenklauben, hatten Sängerinnen und Sänger sich zunächst noch auswendig ihres Repertoires erinnern müssen, so war in den späteren Jahren fast alles da, was das Herz begehrte: Klavierauszüge zu Opern und Operetten, zudem Werke, die im Reich auf dem Index standen, wie z.B. "Elias" von Mendelssohn-Bartholdy.
Der Dirigent Rafael Schächter konnte mit seinem Chor mehrmals das Requiem von G. Verdi aufführen. Er musste den Chor mehrmals neu aufbauen, da die Mitglieder nach der Aufführung nach Auschwitz in die Gaskammern geschickt wurden.
Man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass jene Menschen, die am Tag harte Zwangsarbeit zu verrichten hatten, unterernährt und krank, dabei immer die Angst im Nacken, am nächsten Morgen auf "Transport in den Osten" (wie man die grausige Wirklichkeit verschleiernd nannte) geschickt zu werden, die Kraft und Energie aufbrachten, am Abend Proben abzuhalten, Rollen und Texte zu lernen, um für ein paar Stunden ihre Wirklichkeit zu vergessen. Viktor Ullmann, der von jeglicher Zwangsarbeit befreit war, erlebte die produktivste Zeit seines kurzen Lebens. Welch bittere Ironie des Schicksals. Hören wir heute seine Werke und die der anderen wie Pavel Haas, Hans Krasa oder Gideon Klein (der auch ein grandioser Pianist war), so kann man sich schwer vorstellen, unter welch unmenschlichen Bedingungen sie entstanden.

Wie es in einem Gemeinwesen von Künstlern aller Sparten zugeht, kennt man aus der Normalität freier Lebensformen. Da gibt es Neid, Eifersucht, Intrigen. Man gönnt dem Kollegen den Erfolg nur sehr schwer. Makabererweise war dies in Theresienstadt nicht viel anders. Auch Spannungen unter den verschiedenen Nationalitäten blieben nicht aus. Diese leider unvermeidlichen menschlichen Schwächen wurden immer wieder in den Kabarett-Programmen aufs Korn genommen. Wir hören dies am besten im Lied "Die Ochsen" von Manfred Greiffenhagen und Martin Roman.

Erschütternd, wie sie voneinander reden,
Wie man sich hier noch nach Nationen trennt,
Um ausgerechnet sich noch zu befehden
In einer Stadt die sich ein Ghetto nennt.

Das traf, und der Schluss des Liedes schließlich:

Denn Juden, und nur Juden, sind wir alle,
So wie die Ochsen alle Ochsen sind.

war starker Tobak für die Zuhörer. Andere Texte beschrieben ein anderes tägliches Übel: Das miserable Essen, die "Menage", bei der sich die Lagerinsassen mit ihrem Blechnapf ("Eßschuß") für eine Wassersuppe anstellen mussten. Wenn man ganz großes Glück hatte, konnte man sich ein zweites Mal anstellen, um noch ein paar Reste, einen Nachschlag ("Nachschub") zu bekommen. Wenn in der Wassersuppe nicht nur Kartoffelschalen, sondern sogar noch eine Kartoffel schwamm, war man gut dran. Der tägliche Hunger ist immer wieder Thema in den Kabaretts und: das allgegenwärtige Ungeziefer.

Hört man die Texte über die alltäglichen Missstände im Ghetto und erlebt sie in ihrer schlagergemäßen Leichtfertigkeit, in ihrem geschliffenen Chanson-Stil, so stellt sich etwas ein, was man nur sehr unvollkommen mit "doppeltem Boden" bezeichnen kann. Ein Versuch der Erklärung:
Hören wir in Ullmanns Oper "Der Kaiser von Atlantis" den Dialog des Overall mit seinem "Lautsprecher":

Die Einwohner sind tot. Leichen wurden der Verwertungsanstalt übergeben.

Steiner-Kabarett So lässt der Text an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Sicherlich waren einige Ausführende während der Probe an der Oper nicht einverstanden, entweder weil sie die grausige Wirklichkeit nicht wahrhaben wollten, oder weil sie Angst vor Sanktionen seitens der Nazis hatten. Es gibt in der Originalpartitur eine Menge von Textänderungen, die von einem diesbezüglichen Disput zeugen mögen.

Deutliche Worte an die real existierende Diktatur und ihre menschenverachtende Willkür darf man bei den Kabarett-Texten nicht erwarten. Die Kabaretts in Theresienstadt hatten zu allererst die Funktion, die Zuhörer zu unterhalten, aufzumuntern und an schönere Tage zu erinnern.

Drunt' im Prater ist ein Platzerl,
rings die Bäume decken's zu
Und dort hab ich mit mei'm Schatzerl
alle Tag ein Rendezvous.

Ein Durchhaltelied, noch dazu im beschwingten Walzertakt? Vielleicht, doch nur an der Oberfläche, die zweite Strophe bringt das schöne Gebäude gefährlich ins Wanken:

Dann kam die Reise ohne Kosten,
zu der man uns gezwungen hat,
nun bist du irgendwo im Osten
und ich bin in Theresienstadt...

Der wieder einsetzende Walzer-Refrain erscheint nun schal und wie das berühmte Pfeifen im Wald, um seine Ängste zu vertreiben, der "doppelte Boden". Noch klarer tritt das Spannungsfeld einer oberflächlich-beschwingten Gebrauchsmusik in nahezu gespenstischer Symbiose zu einem hintergründigen Text zutage wie diesem:

Ich kenn ein kleines Städtchen, ein Städtchen ganz tiptop,
Ich nenn es nicht beim Namen, ich nenn die Stadt Als-ob.
Nicht alle Leute dürfen in diese Stadt hinein,
Es müssen Auserwählte der Als-ob-Rasse sein.

Hofer-Revue Die Wiener Gassenhauer-Polka wird zum Wiener "Schmäh", zur kleinen, aber ganz gemeinen Fratze. Das ist große Kunst, die da so hintertückisch daherkommt, dechiffrierbar nur für den, der es will, für uns heute aber noch um einiges beklemmender als seinerzeit in Theresienstadt.
Mindestens fünf Kabarett-Gruppen gab es in Theresienstadt. Das tschechische von Karel Svenk, die deutschsprachigen von Leo Strauß / Kurt Gerron und das von Hans Hofer waren wohl die bedeutendsten. Karel Svenk konnte sich die klarsten Satiren leisten, weil der Lagerkommandant und seine Helfershelfer der tschechischen Sprache nicht mächtig waren. Leo Strauß war der Meister der Satiren zwischen den Zeilen, aber auch der deutlichsten Klage:

Schlimm ist es für uns gekommen, ganz verstört ist nun mein Sinn,
Dich hat man mir fortgenommen, und ich weiß nicht mal wohin.

Die stilistischen Übergänge der Kabarettbeiträge waren fließend. Das Parodieprinzip mit deutlichem Wiedererkennungseffekt, typisches Kabarettmittel:

Ja wir in Terezín, wir nehmen's Leben sehr leicht hin,
Denn wenn es anders wär, wärs ein Malheur...

auf die Melodie von "Komm mit nach Varasdin" von Emmerich Kálmán, gab es ebenso wie harmlose und sentimentale Erinnerungslieder. Schließlich Lieder, die den einzigen Sinn hatten, die Zuhörer zum Lachen zu bringen. Für die Ausführenden wie für das Publikum war dies Balsam und Seelenmassage, man kann auch sagen: eine Stunde Verdrängung der grausigen Wirklichkeit.

Karussel Es wurde schon erwähnt, dass die ermordeten und über vierzig Jahre totgeschwiegenen Komponisten der sogenannten "E-Musik" nun endlich wieder eine Stimme bekommen haben, dass sie bekannte Musikliteratur des 20. Jahrhunderts geworden sind. Die Stimme der "U-Musik" und der Kabarettautoren sind - wenn überhaupt - nur sehr spärlich zu vernehmen. Das liegt einmal daran, dass die seriöse Musikwissenschaft stets weniger Interesse an ihnen hat, zum anderen, dass es von ihnen weit weniger erhaltene Aufzeichnungen gibt, die oftmals nur durch Vorsingen noch lebender Zeitzeugen niedergeschrieben werden konnten. Das meiste aber muss wohl als unwiederbringlich verloren gelten. Umso wertvoller sind die wenigen Zeugnisse, besonders die Gedichte eines Leo Strauß und Manfred Greiffenhagen, die Melodien und Klaviersätze von Martin Roman.

1986 kam die Sammlung von Chansons und Satiren aus dem KZ Theresienstadt von Ulrike Migdal unter dem Titel "Und die Musik spielt dazu" heraus. Es ist das noch immer gültige Kompendium über dies Thema. 1990 produzierte der Hessische Rundfunk eine Sendung "Totentanz - Kabarett hinter Stacheldraht", seit 2000 gibt es sie zusammen mit der CD "Totentanz - Kabarett im KZ" im Handel. Auf der DVD sehen wir viele - damals noch lebende - Zeitzeugen, unter ihnen auch Martin Roman und hören sie über ihre Zeit inTheresienstadt sprechen. Man fragt sich unwillkürlich: Warum erst jetzt? Nach 55 Jahren?

Zwei Beispiele mögen diese Frage exemplarisch beantworten:
Ilse Weber ist erst jetzt überhaupt ins Blickfeld des Interesses gerückt, da ihr Sohn Hanus Weber, der den Holocaust überlebte, sich erst jetzt im Stande sah, die Dokumente herauszugeben.
Paul Aron Sandfort, der im Alter von 10 Jahren in Theresienstadt bei verschiedenen Orchestern Trompete spielte, trat erst nach 50 Jahren mit seiner Autobiografie "Ben, Vogel aus der Fremde" aus seinem selbst auferlegten, verdrängenden Schweigen heraus. Mit 74 Jahren begann er zu komponieren, um die Schreckensbilder als sein eigenes Memento der Nachwelt zu hinterlassen.
Nehmen wir die ausgestreckte Hand und bringen die stummen Zeugnisse zum Klingen, gegen allen Zeitgeist, der immer glauben machen will, wir wüssten schon alles! In Wahrheit wissen wir so gut wie nichts.


Winfried Radeke


In deinen Mauern wohnt das Leid...

Theresienstadt - eine Garnisonstadt innerhalb eines Festungswalles mit symmetrischen Bastionen und einem Wassergraben ringsum. Eine kleine Stadt mit reichlich Kasernen, einem Casino für die Herren Offiziere, ein Tanzsaal.. Dazwischen eine große Zahl kleinerer, höchstens dreigeschossiger Wohnhäuser, einheitlich im klassizistischen Baustil errichtet. Maria Theresia von Österreich ließ diese Anlage bauen, um sich gegen die Preußen zur Wehr zu setzen.. Doch fanden an dieser Trutzburg von Wällen, Basteien und Schießscharten nie kriegerische Auseinandersetzungen statt. Die zivile Bevölkerung, war ausschließlich für die Versorgung des Militärs da: Handwerker, Schneider, Schuster, Bauern, Gärtner, Händler. Insgesamt lebten in dieser Kleinstadt ca. 5000 Menschen. Nach dem Ende des 1. Weltkriegs und dem Ende der Donaumonarchie zogen hier die Soldaten der Tschechischen Republik ein, die Zivilbevölkerung blieb.

Nach Hitlers Überfall auf die Tschechoslowakei und ihre Umwandlung in das "Protektorat Böhmen" mussten alle Theresienstadt verlassen, das Militär und die Zivilbevölkerung. Nun zog hier die SS ein, und es blieb eine Art tschechischer Polizeistaffel, die mit den Nazis zusammenarbeiten musste. Das Areal war wie geschaffen für die Einrichtung eines Konzentrationslagers. Ab 1942 entstand dann das riesige Ghetto für die tschechischen Juden, später auch noch andere aus dem "Reich" und den anderen von Deutschland besetzten Ländern:, Österreich, Dänemark und Holland. In der Stadt, für 5000 Menschen konzipiert, lebten ca. 60.000 auf engstem Raum, in schlimmsten hygienischen und menschenunwürdigen Verhältnissen. Das "Ghetto" hatte nur einen Sinn: Auffanglager für Juden, deren Bestimmung es war, in den Gaskammern von Auschwitz oder anderen Konzentrationslagern ermordet zu werden. Immer wieder kamen neue Transporte an. Die Abtransporte "nach dem Osten" - so die Umschreibung der Todesreisen in Viehwaggons - waren für die Insassen des "Ghettos" die täglich drohende Wirklichkeit. Ilse Weber, die Dichterin und Sängerin beschrieb die Situation ihrer Leidensgenossen mit einfachen Worten:

Theresienstadt, Theresienstadt,
Wie bin ich deiner müd und satt,
Könnt ich dich doch verlassen.
In deinen Mauern wohnt das Leid,
Und grenzenloses Elend schreit
Aus deinen Gassen...

Als Theresienstadt 1945 von der Roten Armee befreit wurde, zogen hier die Russen ein. Nach den Russen kamen die Tschechen zurück. Die früheren Besitzer, die von den Nazis ihrer Wohnhäuser beraubt worden waren, erhielten ihren Besitz zurück. Einige, aber nicht alle kamen auch zurück. In den Kasernen lebten nun wieder Soldaten, die wie zu den Zeiten der Habsburger von der Bevölkerung versorgt wurden. So soll es in dieser eher winzigen Stadt zeitweise 50 Kneipen gegeben haben. Schließlich verließ auch dieses Militär wieder die alte Festung und Theresienstadt wurde seitdem zu einer Art Geisterstadt. Heute wohnen hier gerade 3000 Menschen, viele von ihnen sind arbeitslos. Die Kasernen stehen leer, viele Wohnhäuser ebenso. Der Verfall ist allgegenwärtig. Es ist der bekannte Verfall sozialistischer Prägung: man benutzte die alten Gebäude ohne sie zu reparieren oder zu renovieren, so lange es eben ging. War ein Wohnen in ihnen nicht mehr möglich, so ließ man sie einfach leer stehen und verrotten.

Es gibt Überlebende des Ghettos, die sich eine totale Planierung des Schreckensortes gewünscht hätten. Erst in den letzten Jahren wurden einige wenige Gebäude saniert und zu Gedenkstätten umgebaut, genau genommen sind es zwei: Das "Ghettomuseum" und die "Gedenkstätte", tschechisch: Pamatnik Terezín in der ehemaligen "Magdeburger Kaserne".
Die tschechische Bevölkerung, die hier heute lebt, hätte am liebsten gar keine Gedenkstätten, sondern "Normalität". Man muss das irgendwie verstehen. Täglich treffen hier Reisebusse ein und deren Insassen fallen wie Heuschreckenschwärme über das sensible Terrain her. Meist sind es deutsch plappernde Jugendliche mit "Pflichtprogramm". Aber auch internationaler "Betroffenheits-Tourismus" überfällt das kleine, verfallende Städtchen.
Ein Gesamtkonzept für eine groß angelegte Gedenk- und Begegnungsstätte war bislang nicht in Sicht. Zum einen scheiterte es an kommunalpolitischen Streitereien, zum andern an den Eigeninteressen privatwirtschaftlicher Investoren. Nun aber scheint sich endlich etwas auf höchster Ebene, also auf Regierungsebene zu tun. Diese frohe Nachricht erreichte uns einen Tag nach unserem Auftritt auf dem Dachboden der "Magdeburger Kaserne" vor erfreulicherweise vielen jungen Menschen aus Deutschland und Tschechien.
Bislang hatten sich die Tschechen Einmischungen von außen, besonders von deutscher Seite verbeten, wen wundert es! Es wäre gut, wenn alle redlichen Kräfte, egal welcher Nationalität, sich zusammentäten und unter staatlicher Führung der Stadt für kommende Zeiten die wichtige Rolle zu geben, die ihr zusteht: Eine würdige Gedenkstätte zur Aufarbeitung der dunkelsten Vergangenheit - aber auch als Mahnung und Symbol gegen das Vergessen.


Winfried Radeke

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